Donnerstag, 21. April 2005

Charts-Skandal

Imageschaden und Verlust der Glaubwürdigkeit

Die Musikindustrie ist bereits seit einer halben Dekade in der Dauerkrise. Zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte der Charts-Skandal um Musikproduzent David Brandes gar nicht kommen können, zumal das mediale Echo beinahe täglich größer wird. Neben dem weiteren Imageschaden dürften die Ermittler der Musikcharts einen herben Imageschaden erleiden und die gesamte Branche weitere Glaubwürdigkeit einbüßen.

Mittlerweile hat sich nahezu jeder aus der Branche geäußert und den Skandal teils zur Bekämpfung der eigenen Profilneurose, teils zur Erhaschung von Aufmerksamkeit und oftmals auch zur Eröffnung neuer Grabenkämpfe kommentiert. Brandes selbst sieht sich nahezu als Opferlamm auf dem Weg zur Schlachtbank, aus seiner Sicht ist es ein persönlicher Feldzug gegen ihn, weil ihm einige in der Branche den Erfolg neiden, mit zwei Acts beim Eurovision Song Content vertreten zu sein: Quasi die Neuauflage des biblischen Kampfes von David gegen Goliath. Mit solchen Anspielungen kokettiert auch gerne mal Tim Renner, der sein Buch in altes und neues Testament unterteilte und zu seinen Zeiten bei Universal Music Emails auch gerne mal mit "Gott" unterzeichnet haben soll.

Eben jener Tim Renner zollt David Brandes, der die kleine Plattenfirma Bros Music betreibt, im Spiegel-Interview Respekt und widerspricht Brandes zugleich. Jener hatte zuvor behauptet, die Manipulationen seien branchenüblich. Sogar Brian Epstein, Manager der Beatles, habe 10.000 Singles kaufen lassen. Ungenannte Branchenkenner sagen in der Tat, daß viele Produzenten, die es sich leisten können, erst einmal 10.000 Euro investieren, um die eigene CD zu kaufen. Diejenigen, die nicht ihre eigenen Mitarbeiter zum CD-Kauf durch die ganze Republik schicken wollen, heuern hierfür Marktforschungsinstitute an, die im Auftrag des Produzenten eine bestimmte CD massenweise erwerben. Das Ziel ist dabei klar: "Wer erst mal im Fernsehen ist und den ganzen Tag im Radio gespielt wird, dessen CD kaufen die Leute von alleine", erklärt ein Branchenkenner. Der Koblenzer Ökonom, Georg Stadtmann, bestätigt dies: "Wenn der Titel erst mal in den Charts ist, wird er durch die Kettenreaktion zum Selbstläufer."
Gracia, die für Deutschland zum Grand Prix fährt, erzählte der Bild sogar: "Fast jeder in der Branche kauft eigene Platten - wer nicht, ist dumm. Regeln, die nicht beachtet werden, sind keine Regeln mehr." Im übrigen wisse sie aber nicht, ob Brandes tatsächlich manipuliert habe. "Ich kann es mir bei ihm wie bei jedem anderen gut vorstellen." Und ergänzt: "Jeanette Biedermann hat das auch schon gemacht. Da sind sogar die CD-Kaufbelege ihres Managers gefunden worden." Und Lutz Fahrenkrog-Petersen, Bruder des Produzenten von Nena, gab zu Protokoll: "Wenn zu einer Goldenen Schallplatte noch 10 000 verkaufte Platten fehlen, dann gibt es keine Plattenfirma, die da nicht die restlichen Tonträger selbst kauft."

Demgegenüber wirkt es schon reichlich naiv, wie Media-Control und der Branchenverband der Phonographischen Industrie auf den Vorfall reagieren. Nachdem die Ermittlungen durch Media Control zu konkreten Hinweisen geführt haben, werden aufgrund der Faktenlage zunächst zwar sechs vermeintlich betroffene Produkte bis auf weiteres von der Chartserhebung ausgeschlossen - weitere Schritte sind bislang aber noch nicht erfolgt. Betroffen vom Chartsausschluß sind die Singles "I Know" und "Blue Tattoo" von Vanilla Ninja, "Run & Hide" von Gracia, "Heaven is a Place on Earth" von Virus Incorporation sowie die Alben "Traces of Sadness" und "Blue Tattoo" von Vanilla Ninja. Wer das System der Charts-Erhebung hintergehen wolle, sagt Hartmut Spiesecke, Pressesprecher des BV Phono, der müsse zwei Dinge tun, die sich eigentlich widersprechen: "Er muß so viel wie möglich kaufen - und das auf unauffällige Weise." Zwar gibt es solche Verdachtsmomente mehrmals im Jahr, allerdings ist dies der erste öffentlich bekannt gewordene Fall eines erfolgreichen Manipulationsversuchs in 28 Jahren.

Tim Renner legt dagegen seine Hand ins Feuer und schwört, daß diese Manipulation "nicht allgemeine Praxis" seien: "Die Charts sind ein Marketingmittel, die Konzerne haben gar kein Interesse daran, mit manipulierten Zahlen zu arbeiten. Sie brauchen sichere, glaubwürdige Charts." Zudem sei es sehr aufwendig "das System effektiv zu manipulieren". Offenbar ist es Brandes allerdings gelungen. Und es ist sicher purer Zufall, daß Tim Renner damals Chef von Universal Music war, als die Vorwürfe der Charts-Manipulation bei Jeanette Biedermann auftauchten. Offenbar weiß Renner also zumindestens in diesem Fall wirklich wovon er redet. Auch Tom Bohne, Managing Director bei Universal, nimmt deshalb seine Künstlerin in Schutz: "Die von Gracia erhobenen Vorwürfe sind völlig haltlos. Bereits vor einigen Jahren hat eine Untersuchung eindeutig ergeben, daß es keine Chartsmanipulation bei Jeanette Biedermann gegeben hat." Während das Thema Charts-Manipulation also in Deutschland derzeit im wahrsten Sinne in aller Munde ist, bahnt sich auch in Großbritannien ein Konflikt an. Dort kündigen die Manipulatoren ihre Sabotage jedoch schon vorher an und wollen auf Unsicherheiten im Erfassungssystem hinweisen, die durch die erfolgte Zusammenlegung der Download- und der Singles-Charts am 17. April drohe. Guy Holmes, Chairman des Independent-Labels Gut Records, kündigte gegenüber BBC News an, daß mindestens zwei Indie-Firmen in der laufenden Woche mit dem Kauf großer Mengen an bestimmten Downloads versuchen wollen, die Rangliste der bestverkauften Titel zu beeinflussen weil "die Leute, die diese Charts angezettelt haben, bei den Sicherheitsfragen jämmerlich versagt haben". Es bedürfe nur ein paar tausend zusätzlicher Verkäufe, um einen Song von Platz 20 in die Top Ten zu hieven. Bei Preisen von 79 bis 99 Pence pro Download sei das auch künftig für einige Firmen gut investiertes Geld.

Zurück nach Deutschland: Charts-Manipulationen sind offenbar auch nicht das einzige Steckenpferd von David Brandes, so äußerte sich Schlagerlegende Chris Roberts ebenfalls negativ über den Musikproduzenten: "Brandes hat mich um 60.000 Euro betrogen. Er hat mir nach der Produktion unseres Albums keine Lizenzgebühren ausgezahlt und mich so in den Ruin getrieben." Es bestätigt sich also ganz offenbar die Einschätzung von Karl-Heinz Kögel, Chef von Media-Control, daß "hinter den Manipulationen so viel kriminelle Energie steckt, daß wir dem Jungen (gemeint ist David Brandes) alles zutrauen." Der bitteren Beigeschmack des Skandals hat allerdings andere Gründe: warum haben die angeblich so guten Kontrollmechanismen bei der Charts-Ermittlung und -Auswertung so kläglich versagt und beinahe die wichtigere Frage: wäre der Sachverhalt auch ans Tageslicht gekommen, wenn nicht Skandalreporter von 'Akte 05' den Fall öffentlich gemacht hätten?

Quelle: Housepool

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