Mittwoch, 27. Oktober 2004

Joey Beltram: Aus den Nähkasten einer Legende - Long Version

To Joey Beltram:
Was ist in deinen Augen der Hauptunterschied zwischen "Places", also dem letzten Album, dass du unter deinem Namen veröffentlich hast und dem neuen Werk?

Joey: Na, "Places" liegt etwa neun Jahre zurück. Das allein ist natürlich der Hauptunterschied. Ich mache das ja jetzt seit rund fünfzehn Jahre, Musik zu produzieren. Jedes Jahr ist dabei eine andere Phase, wie mein Hirn in musikalischer Form denkt. Es gibt aber auf jeden Fall etwas, was all meiner Musik, die ich veröffentliche gemeinsam ist: es ist alles Musik, die man auf einer Party morgens um zwei Uhr spielen kann und die Leute auf der Tanzfläche fangen an zu schreien. Es gibt soviele Platten, die als Tools herauskommen. Sie sind gut, wenn du als DJ damit mixt und arbeitest, aber du kannst sie nicht von Anfang bis Ende spielen, wenn es darum geht, dass die Crowd die Arme in die Höhe reißt und verrückt wird. Ich war schon jahrelang DJ bevor ich mit dem Produzieren angefangen habe und letztendlich habe ich angefangen, selber Sachen zu produzieren, weil ich nicht genug Platten gefunden habe, die ich mochte und die in meinen DJ-Set gepasst hätten. Mich hat es genervt, dass mir Plattenverkäufer ständig erzählt haben, dies oder jenes sei der neue Style. Das hat mich nie interessiert. Ich wollte Platten haben, die mir gefallen. Und ich wollte immer Platten spielen, die zur Peak Hour die Leute zum Ausrasten gebracht haben.

Aber das gilt ja eigentlich für all deine Platten...

Joey: Ja, klar. Ich meine, die Musik insgesamt hat sich natürlich verändert, du kannst heute nicht mehr irgendwelche Ravesachen produzieren. Ich versuche immer meinen eigenen Sound mit dem aktuellen Flavour zu verbinden, insofern ist das neue Album Joey Beltram mit 2004-Flavour.

Ich habe heute morgen zum Aufstehen nocheinmal die "Places" gehört und gerade eben dein neues Album. Ich finde das neue Werk ist housier und hat so einen Disco-Flavour, den ich bislang noch nie bei Tracks von dir bemerkt habe. Ein Stück erinnert gar etwas an Donna Summers "I Feel Love". Bislang hatte ich mit dem Joey Beltram-Sound immer harsche, metallische Klänge verbunden, jetzt scheint mir dein Sound runder zu sein...

Joey: Ja, es ist schon noch härteres Material auf dem neuen Album, aber alles in allem hast du natürlich recht. Ich meine, wer erwartet hat, dass ich wieder ein Album wie "Places" machen würde, ist vielleicht enttäuscht, aber wenn du solange schon produzierst, willst du natürlich nicht ständig das gleiche machen. Das wäre zu einfach und langweilig. Ich möchte nie soetwas wie Teil zwei von etwas machen, ich versuche immer, mich nicht zu wiederholen. Ich war vielleicht Pionier bei einigen Sounds, aber ich hatte keine Lust irgendwann einer von vielen zu sein, die diesen Sound gemacht haben. Ich habe oft Sachen produziert, die vermutlich gut funktioniert hätten, aber für mich waren sie nur das gleiche von etwas, was ich schonmal gemacht hatte, deshalb sind sehr viele meiner Tracks nie veröffentlicht worden. Ich selektiere sehr viel, höchstens zehn Prozent meiner Stücke werden veröffentlicht. Eine zeitlang habe ich deshalb kaum etwas herausgebracht und nur ein paar Remixe gemacht.
Wenn man in New York lebt, bekommt man neben den vielen verschiedenen Sachen, die man zu hören bekommt, eben auch viel House mit. Es gibt ja keine besonders große Technoszene in New York. Ich habe oft nachts im Radio House-Mixe gehört und irgendwann reifte die Idee, Elemente daraus in meinen Technosound einzubinden. Ich wollte einfach ausprobieren, ob ich das auch kann. Auch eben so Sachen mit Discosamples. Das ich Technotracks produzieren kann, weiß inzwischen jeder. Ich meine, als ich 1988 angefangen habe, habe ich House-Sachen gemacht, auch wenn sie sich eher an den härteren Tracks aus Detroit orientiert haben. Selbst zu Zeiten von "Energy Flash" gab es neben dem Techno-Producer Joey Beltram auch immer parallel den House-Produzenten Joey Beltram. Aber der Techno-Joey-Beltram war wesentlich erfolgreicher und bekannter. Von 1995 bis 1998 habe ich vielleicht nur Techno-Tracks produziert, weil eben alle das von mir wollten. Dann habe ich mein eigenes Label STX gegründet und darauf eher so Tech-House-Sachen veröffentlicht, die auch alle in vielen DJ-Playlists ganz oben waren. Ich wollte einfach aus dem Techno-Terrain ausbrechen und gucken, ob ich auch noch House produzieren kann, und ob ich es schaffe, mir eben auch außerhalb der Techno-Szene einen Namen zu machen. Das habe ich fünf Jahre lang gemacht und dann wurde mir auch das langweilig und deshalb wollte ich eben noch mehr verschiedene Styles miteinander verbinden. Und das Ergebnis davon ist eben das neue Album "The Rising Sun", die verschiedenen Gesichter von Joey Beltram der letzten 15 Jahre verschmelzen. Dadurch gibt es eben harsche Technotracks, die trotzdem unter der Oberfläche einen Houserhythmus haben. Ich weiß nicht, ob das für andere funktioniert. Für mich funktioniert es, weil es mich davon abhält, gelangweilt zu sein. Als Techno 1990 anfing groß zu werden, hat mich das gereizt, weil House anfing, immer nach dem selben Schema aufgebaut zu sein: eben so Pianolinien, Vocals im Vordergrund usw. Bei Techno konntest du alles machen, du konntest Breakbeats nehmen oder was auch immer. Dann irgendwann folgte auch Techno immer einem bestimmten Schema, einer bestimmten Formel. Alles andere wurde zu etwas anderem wie eben TripHop, Drum’n’Bass etc. Und selbst heute gibt es immer noch diese strengen Schemata für Techno-Techno. Wenn du etwas aus diesem loopbasierten Stil ausbrichst, sagen gleich alle, das sei kein purer Techno mehr. Ich mag einfach, verschiedene Elemente aus unterschiedlichen Stilen zusammenzubringen.
Wenn ich einen Track fertig habe, warte ich meist ein paar Monate oder sogar ein Jahr, um zu gucken, ob er mir dann immer noch gefällt. Und nur dann wird er vielleicht released. Mir geht es nicht so sehr darum, den neusten Sound zu machen. Manche Producer veröffentlichen ihre Sachen immer ganz aktuell und nach ein paar Monaten interessiert sich niemand mehr für diese Tracks.

Du produzierst seit 15 Jahren, hast auf unzähligen Labels veröffentlicht und vermutlich in allen relevanten Clubs gespielt. Kannst du dich erinnern, was dein außergewöhnlichstes Erlebnis in dieser ganzen Zeit war?

Joey: Nee, es gibt da nicht die eine Super-Party oder ähnliches. Das Aufregendste und wichtigste meines Lebens ist meine Tochter.

Lebst du mit deiner Familie zusammen?

Joey: Ja, ich bin mit meiner Frau seit mehr als zehn Jahren zusammen. Vielleicht etwas untypisch für einen DJ...

Als DJ musst du ja nicht ständig in der Gegend herumficken, aber ist es nicht schwierig, eine Beziehung mit einem DJ-Leben zu vereinen?

Joey: Naja, ich habe einfach sehr viel Glück mit meiner Frau. Sie wusste immer, was auf sie zukommt und worauf sie sich einlässt. Sie ist da mit mir hineingewachsen und sie ist ziemlich cool.

Wie alt ist deine Tochter?

Joey: Erst ein paar Monate, fast ein Jahr jetzt.

Wenn du von ihr erzählst, strahlst du über beide Ohren, dass man dir gerne glaubt, dass sie das Aufregendste in deinem bisherigen Leben ist...

Joey: Ja! Vor allem im Moment. Ich habe ein bisschen Heimweh und kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen.

Du warst Zeuge der gesamten Entwicklung der Techno- und Housemusic, du hast die Wurzeln miterlebt und du warst als Pionier inmitten der Technoexplosion...

Joey: Ich habe ja weit vor Techno und House angefangen aufzulegen. Ich glaube es war 1983, ich war elf oder zwölf Jahre alt, als ich das erste Mal so original Electro gespielt habe. Und 1985 gab es die ersten Housetracks von Tony Humphries nachts im Radio. Als ich das hörte, dachte ich: "wow! das ist ja komplett anders, als alles was ich bislang gehört habe." Als DJ habe ich alles was damals entstand zu dem Zeitpunkt gehört, als es zuerst herauskam, also sozusagen in Echtzeit.

Wenn du heute die zwanzig Jahre Musik, seitdem du auflegst revue passieren lässt, kannst du sagen, was Techno für dich ist? Ist es eine Art von Musik oder eine Lebensphilosophie oder was sonst?

Joey: Ich versuche, auch heute noch den Grundgedanken von Techno hochzuhalten. Wobei ich sagen muss, es ist eher das Konzept von Techno, als Techno begann, nämlich dieses alles geht, du kannst alles machen. Ich erinnere mich noch, wie wir mit Elementen von bekannten House-Platten herumspielten oder wie ich die ersten Platten von KLF gehört habe. Du wusstest nie was dich erwartet, es war immer eine Überraschung und ich dachte: "wow! ist das großartig." Und dann The Orb und die ganzen frühen Warp-Sachen, das war alles total unterschiedlich. Du konntest all das spielen und die Leute sind ausgeflippt. Heute erwarten die Leute von dir, dass du 5.000 Loops spielst. Ich versuche wieder etwas zurückzugehen zu dieser Zeit damals. Meine Hauptleidenschaft vor dem Produzieren war stets das DJing, ich versuche einfach Tracks für den Dancefloor zur Peak Time zu produzieren und dabei den Technobegriff nicht so eng zu definieren.

Heißt das, deine DJ-Sets sind sehr wild style mäßig, sehr unterschiedlich?

Joey: Nein, das nun auch nicht, ich ändere nicht das Tempo mitten im Set oder sowas. Ich bleibe meist im 135/136 BPM-Bereich. Aber es ist eben in keinem Fall so ein reiner Techno-Set. Ich will das jetzt nicht überbewerten, aber es ist schon anders, als was ich sonst so in den Clubs höre.

Gibt es eine Person, von der du sagen könntest, dass sie dich am meisten beeinflusst hat?

Joey: Es gab ein, na vielleicht zwei Menschen, die mich am Anfang beeinflusst haben. Ich würde sagen, seitdem hat mich niemand mehr wirklich beeinflusst. Spätestens 1990 habe ich das gemacht, von dem ich glaubte, es sei special. Aber vorher gabe es zwei Personen: Tony Humphries als ein DJ und Todd Terry als Producer. Beide nicht wirklich Techno... Tony Humphries, weil er mir die allerersten Begegnungen mit House Music bescherte. Vorher hatte ich nur HipHop gehört. Also nicht HipHop im Stile von heute. Für mich war HipHop damals so etwas wie "Planet Rock" von Africa Bambaataa, also Sounds, die man jetzt eher als Electro oder Breakdance bezeichnet. Ich habe mir damals alle diese Platten gekauft...

Dann könntest du ja auch Electro-Sets auflegen...

Joey: Nein, nicht wirklich, ich kaufe schon lange keine Electro-Platten mehr...

Du könntest einen Oldschool Electro Set spielen...

Joey: Hmm, ja, ich könnte. Aber ich mach das nur zuhause für mich, weil ich diese Musik immer noch sehr gern höre. Wenn es dafür wirklich ein Publikum gäbe, würde ich es vielleicht machen. Ich glaube, ich habe eine der größten Electro-Plattensammlungen...

Na, spätestens seit dem ganzen Electroclash-Hype dürfte es doch genug Leute geben, die sich für so einen Sound interessieren.

Joey: Hmm, vielleicht mache ich eines Tages mal eine Compilation mit so alten Sachen. Auf jeden Fall werde ich nicht vergessen wie ich 1985 das erste mal Tony Humphries im Radio House-Platten spielen gehört habe. That blew my mind! Ich war damals ja viel zu jung, um in Clubs zu gehen, insofern habe ich nachts vorm Radio gesessen und all diese Shows auf Cassette aufgenommen. Und dann bin ich mit diesen Cassetten in einen Plattenladen gegangen und habe gesagt: "Ich möchte alle diese Platten." Wenn Tony Humphries etwas gespielt hat, wollte ich es auch spielen. Und dann, ein Jahr später hörte ich das erste Mal Stücke von Todd Terry. All seine frühen Platten wurden zu meinen Lieblingsplatten. Für mich – und da mögen mir viele widersprechen – war er der erste Hardcore-DJ. Ich meine, damals war das Standard-Tempo von House-Platten so 120 bis 122 BPM und er machte ständig Tracks so um die 125/126 BPM. Das musste man herunterpitchen und ich weiß noch, dass alle sagten, das wäre zu hart. Er verwendete HipHop-Elemente und alles hatte so einen roughen Street Style, anders als die Sachen, die in riesigen Studios entstanden. Er benutzte dreckige Samples, wo man noch die Kratzer von den Platten, von denen sie stammten hören könnte. Für mich klang das absolut großartig. Todd war der erste Mensch, bei dem ich dachte: "wow, du kannst auch selber Musik machen, du brauchst kein teures Studio und all diese Sachen."

Magst du die Sachen von ihm noch?

Joey: Ich liebe sie! Ich kriege nicht mehr soviel mit, was Todd jetzt so macht, aber die alten Sachen hebe ich gut auf. Gerade seine alten Sachen werden auch in aktuellen Technoproduktionen ständig gesampelt. Er war ein absoluter Pionier, er war zum Beispiel auch der erste international gebuchte DJ und seine Platten sind in unzähligen Ländern gepresst worden.

Gibst es Künstler, mit denen du gerne mal zusammenarbeiten würdest?

Joey: Naja, eigentlich nicht. Wenn du dir meine Diskographie anschaust, wirst du wenig Kolaborationen finden. Es ist nicht so, dass ich meine Ideen nicht gerne teile, aber ich mag keine Kompromisse mit meinen Ideen eingehen. Selbst bei einem Remix sind immer rund 90% von mir und ich entscheide welche Elemente ich vom Original verwende. Ganz gut geklappt hat das damals mit Mundo, vor allem beim Track "Mentasm". Wir kennen uns seit Teenagertagen, aber für ihn war Produzieren nur ein Hobby. Ansonsten, ich habe mit allen gearbeitet, die mich interessieren, Derrick May, Kevin Saunderson, alle musikalischen Größen. Na, vielleicht wäre es spannend mit Todd Terry zu arbeiten. Ich habe ihn ein paarmal getroffen und er ist einer der nettesten Menschen im Musikbusiness.
Das spannendste ist und bleibt Leute nach einem Set im Club kennenzulernen. Ich liebe das Auflegen, weit mehr noch als Produzieren. Ich habe angefangen zu produzieren, um DJ-Bookings zu bekommen. Das war in New York fast unmöglich, den meisten war meine Musik zu seltsam. Meine ersten richtigen Bookings hatte ich in Europa, in Belgien England und Deutschland.

Du sagtest, du hättest auch angefangen zu produzieren, weil du nirgends die Platten gefunden hast, die du spielen willst...

Joey: Ja, es gibt Dutzende Platten von mir, die nie erschienen sind, die nur ich habe. Immer, wenn ich nach Berlin komme, gebe ich einen Stapel CDs bei Dubplates & Mastering ab, um mir Dubplates davon schneiden zu lassen... Einiges davon veröffentliche ich jetzt auf meinem Label STX, dementsprechend habe ich immer hauptsächlich STX-Platten in meinem Koffer. Es gibt Kritiker, die das seltsam finden, aber hey! ich mache diese Platten für meine Sets. Und ich glaube, ein DJ-Set sollte immer auch den Sound deiner eigenen Platten präsentieren. Einfach alle Rave-Hits der Welt zu spielen, kann jeder.

Gibt es eigentlich irgendetwas, was in deinem Leben fehlt?

Joey: Nein. Jetzt nicht mehr, bevor ich eine eigene Familie hatte, vielleicht, aber jetzt bin ich glücklich mit dem Familienleben. Ich lebe außerhalb von New York, auf dem Lande mit Blick auf die Berge. Das ist großartig.

Was bedauerst du in deinem Leben bislang am meisten?

Joey: So kann man nicht leben. Natürlich habe ich Fehler gemacht in meinem Leben, vor allem im Business, aber ich sehe das so: jeder Schritt deines Lebens folgt auf den vorherigen. Also wäre ich jetzt nicht dort, wo ich bin, wenn ich nicht auch all diese Fehler gemacht hätte.

Wann hast du eigentlich die Tresor-Crew kennengelernt?

Joey: Kurz nachdem der Club aufgemacht hatte, also vor ungefähr dreizehn Jahren, ich war einer der ersten internationalen DJs, die sie gebucht hatten. Ich kam zusammen mit den ganzen belgischen DJs von R & S Records rüber, CJ Bolland, Outlander etc. Ich habe ein paar Jahre regelmäßig im Tresor aufgelegt und 1994 haben mich Carola und Dimitri vom Label angesprochen, ob ich nicht auf Tresor Records veröffentlichen will. Anfang 1995 erschien dann dort "Places" mit dem Hit "Game Form".

Das ist jetzt gut neun Jahre her. Was ist das Besondere an Tresor, dass du über so einen langen Zeitraum mit ihnen zusammenarbeitest?

Joey: Der persönliche Kontakt. Auch in all den Jahren, wo keine Platten von mir auf Tresor erschienen sind, habe ich fast jeden Tag Kontakt mit Carola (die Geschäftsführerin vom Label – Anm.), sie kennt meine Frau gut und wann immer sie in New York ist, wohnt sie bei mir. Mein Haus ist ihr Haus. Wir sind in erster Linie gute Freunde. Dadurch kann ich bei Tresor machen, was ich will und ich muss niemandem mein Konzept erklären.

Du bist einer der wenigen DJs, die den Club von Anfang an kennen und immer noch regelmäßig dort spielen...

Joey: Oh, ja. Ich werde nie vergessen, wie ich zum ersten Mal die Treppe in den Keller stieg. Sowas gab es ja sonst nirgends. Die Clubs in New York oder auch in Belgien waren groß, voll mit buntem Licht und einfach genau das Gegenteil von einem dunklen Kellergewölbe mit Gittern überall, kurz nach dem Fall der Mauer. Und darin spielten wir diese dunkle, harte Musik. Es war rappelvoll, man konnte kaum atmen. Eine unfassbare Atmosphäre, ein perfektes Setting, wir standen da und dachten: wow! Definitiv der erste Club seiner Art.

Gibt es etwas, dass dich heute an der Technoszene nervt?

Joey: Ja, dieses Gewäsch, dass früher alles besser war und dass Techno eigentlich tot sei und es keine neuen Ideen mehr gibt. 1990 war Todd Terry für mich der absolut Größte, er war der erste der ausschließlich mit Samples und einem Beat Musik machte. Ich dachte, wow!, was soll jetzt noch kommen, alles wird eine Kopie sein, von dem was bereits da war. Und von unserem Punkt jetzt sagen wir, die Neunziger haben so viele neue Ideen und Sounds gebracht. Und genauso werden wir uns in zehn Jahren erinnern, an den einen Track 2005, der alles veränderte oder diesen visionären Producer, der 2006 seine erste Platte machte. Und wenn ich heute in einem Club spiele, sind die meisten Anfang zwanzig, die kennen "Energy Flash" nicht, wie auch, damals waren sie vielleicht sieben oder acht. Das ist nicht ihre Zeit, aber sie wollen jetzt feiern, nicht erzogen werden von DJs, die ihrer Zeit nachtrauern. Sie wollen ihren Hintern bewegen und eine Nacht erleben, an die sie sich später erinnern. Mit Musik aus dem Jetzt. Und genau das kriegen sie bei mir.

Hast du eine Vorstellung davon, was du mit sechzig machen wirst?

Joey: Keine Ahnung, vielleicht noch immer Produzieren, bestimmt irgendwie noch verbunden sein mit Musik. Aber wer weiß, ob es dann überhaupt noch Tonträger geben wird und Musik, für die jemand Geld bezahlt.

Vor zweieinhalb Jahren, am 2. Oktober solltest du im Tresor auftreten. Drei Wochen nach 9-11. Du hast damals die gesamte Tour abgesagt... wie hat sich dein persönliches Leben seitdem verändert?

Joey: Ich habe damals in Brooklyn gewohnt, vielleicht vier Meilen vom Wolrd Trade Center entfernt. Ich konnte es sehen und riechen von meinem Haus aus. Seit ich denken kann, waren die beiden Türme immer da, schon als Kind waren sie Orientierung. Aber, naja, mein persönliches Leben hat sich nicht viel verändert, ich fliege jede Woche und hoffe stets gut anzukommen. Dass ich die Tour damals abgesagt habe, lag eher daran, dass wir alle dachten, 9-11 wäre der Anfang von wesentlich mehr. Und meine Familie bat mich, dazubleiben.

Deine erste musikalische Sozialisation war Electro und Oldschool HipHop. Verfolgst du die HipHop-Szene noch ein bisschen?

Joey: Kaum, höchstens mal im Fernsehen oder im Radio. Aber das meiste, was ich da höre ist nur ein Marketing-Ding, da steckt keinerlei Kreativität hinter, alles sehr formelhaft. Wenn ich ein HipHop-Video beschreibe, könnte es jedes HipHop-Video sein, es geht immer darum Ärsche und Titten zu schwingen, mit einem Auto durch die Gegend zu fahren, dicke Klunker zu tragen usw. HipHop ist zu einem Cartoon geworden. Das Publikum, dass sich dafür interessiert ist ja auch gerade erst aus dem Alter raus, in dem man Cartoons guckt...

Und Graffitis? Du warst mal extrem aktiv als Writer in den Achtzigern...

Joey: Ja, aber jetzt bin ich ein alter Mann. Mit 33 kann man nicht mehr mit Sprühdosen um die Häuser ziehen und Wände bemalen. Und außerdem haben sie in New York ab 1988 diese neuen Züge eingesetzt, auf denen die Farbe nicht haftet. Einmal drübergewaschen und nix ist mehr da. Aber darum ging es bei Graffiti: du hast Bilder gemalt, die monatelang in der ganzen Stadt herumfuhren, die eben beweglich waren. Eine Mauer bleibt, wo sie ist. Es ging auch um diesen Thrill, etwas Schwieriges und oft auch Gefährliches zu machen. Wenn du morgens nach Hause kamst und eine U-Bahn mehr fuhr mit deinem Bild herum, fühlte man sich, als hätte man gerade erfolgreich eine Bank überfallen. Irgendwann 1989 habe ich ganz damit aufgehört und mich nur noch der Musik gewidmet. Platten auf verschiedensten Labels zu veröffentlichen ist ein bisschen so ähnlich wie Graffitis: du hinterlässt deine Signatur und sie wird durch die Welt getragen... Sozusagen der nächste Schritt der Graffiti-Mentalität, nicht nur in deiner Stadt, sondern eben global Spuren hinterlassen.
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